Wir Menschen handeln instinktiv. Und das nicht erst seit gestern. Doch in unserer zivilisierten Gesellschaft ist unser dafür sorgendes Reptiliengehirn selten ein guter Ratgeber. Vor allem in herausfordernden Zeiten von Krisen, Veränderungen und Ängsten.
- Worauf sollten wir also achten?
- Wie finden wir innere Ruhe in herausfordernden Situationen?
- Und wie können wir unsere Instinkte überwinden?
Das Reptil in uns
Unser Stammhirn – auch Reptiliengehirn genannt – hat schon in der Urzeit dafür gesorgt, dass wir bei drohender Gefahr erstarren, flüchten oder kämpfen. Doch sollen wir uns auch heute noch von negativen Emotionen leiten lassen?
Die Antwort lautet nein. In unserer zivilisierten Gesellschaft ist das Stammhirn selten ein guter Ratgeber. Schließlich müssen wir Konflikte in der Regel nicht mehr physisch lösen oder vor ihnen fliehen. Ein vernünftiger Austausch, eine zielführende Konversation mit guten Argumenten sowie ein respektvoller Umgang ist der Weg, den wir künftig wählen sollten.
Das Stammhirn und der nackte Kampf ums Überleben …
Bist du meine Nahrung oder bin ich deine? Eine Frage, die sich unsere Vorfahren sicher stellen mussten, wenn sie mit archaischen Waffen auf Großwildjagd gingen.
Hier waren gute Instinkte und schnelle Reflexe ausschlaggebend für fressen oder gefressen werden. Das brachte – und bringt in Gefahrensituationen auch heute noch – unser limbisches System auf den Plan, das entsprechende Signale an das Stammhirn sendet. Ein äquivalentes Erregungsniveau wird aufgebaut, um im Notfall zu kämpfen oder zu flüchten.
Natürlich hat sich auch das Stammhirn im Laufe der Jahrmillionen weiterentwickelt. Und wir benötigen es nach wie vor – für die Atmung, die Steuerung des Blutdrucks sowie für die Regulation des Herzschlages, der Nahrungsaufnahme und der Darmtätigkeit.
Dennoch bleibt das Reptiliengehirn die Steuerzentrale für viele primitive Grundfunktionen. Diese schaden uns eher, als dass sie helfen. Denn selbst wenn wir wissen, nicht unmittelbar in Gefahr zu sein, wird das Stammhirn aktiv. So etwa bei großem Stress, ungelösten Traumata und angestauter Wut. Die Folge sind körperliche Signale wie Schwitzen, Herzklopfen, Unruhe und Nervosität. Darauf reagieren wir nicht rational, logisch oder lösungsorientiert. Der Zugang zur Großhirnrinde, dem Cortex, der für die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen und komplexes Denken zuständig ist, bleibt uns weitestgehend verwehrt.
Der psychologische Nebel
Allerdings sitzen im limbischen System auch Gefühle positiver Natur. Freude zum Beispiel ist die Folge einer elektrischen Stimulierung der Gehirnstrukturen. Darüber wölbt sich das Großhirn, in dem die analytischen Prozesse stattfinden – stets in Kooperation mit dem limbischen System. Agiert Letzteres aber zu häufig mit dem Stammhirn, werden mehr Stresshormone produziert, als unserem Körper guttun.
Hierbei spricht man auch vom psychologischen Nebel. Das Großhirn wird gestört und das Stammhirn übernimmt komplett die Kontrolle.
Denkblockaden, Frustration und Wut über die nicht gelöste, vermeintliche Gefahrensituation sind die Folgen. Menschen, die chronisch aus dem Reptiliengehirn heraus reagieren, ist kaum mit einer klärenden Kommunikation beizukommen. Ihr analytischer Verstand ist (teilweise) blockiert. Daher können sie nicht aufnehmen, was wir ihnen sagen möchten.
Von Egomane zu Egomane
Trotz moderner Welt mit Autos, Computern und globalisierter Wirtschaft ist der Mensch unter seiner Benutzeroberfläche noch sehr archaisch programmiert. In Wirklichkeit werden wir alle in vielen Situationen von unserem Reptiliengehirn dominiert. Erstaunlich – müssen wir doch vielerorts nicht mehr um die Sicherheit von Leib und Leben fürchten. Stattdessen steht im Zentrum des Menschen der Gegenwart die Verteidigen des Ichs. Wir möchten unser Ego schützen, unsere Werte und Überzeugungen angesichts Andersdenkender in Sicherheit wissen. Das kommt für das primitive Reptilienhirn gleich nach dem Schutz des eigenen Lebens.
So weit, so gut. Selbsterhaltung ist ein natürlicher Reflex.
Dennoch sollte das Zwischenmenschliche nicht auf der Strecke bleiben. Verhalten wir uns als Reptiliengehirn-Typ, hat das verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Unser Gegenüber nimmt die negative Stimmung wahr, fühlt sich bedroht und legt das gleiche Verhalten an den Tag. Missverständnisse sind ein Ergebnis, wenn zwei oder mehrere Personen mit starker Reptiliengehirnaktivität zusammentreffen. Daraus ergeben sich nicht selten aggressive und gefährliche Situationen – sei es im überlasteten Straßenverkehr oder in der aufgeladenen Situation eines überfüllten engen Raumes. Doch nicht nur das Privatleben der Menschen ist tangiert. Auch im beruflichen Alltag kann es zu schweren Konflikten kommen.
Hoffnungsträger Neocortex – auf dem Weg zur inneren Ruhe!
Wie aber können wir verhindern, dass negative Gefühle den Denkapparat blockieren und lediglich das Stammhirn aktivieren? Ist doch der Egoismus in der heutigen Ellbogengesellschaft unverkennbar auf dem Vormarsch. Wir müssen lernen, wieder einander zuzuhören. Die Anlagen dafür sind vorhanden. Unser größtes Potenzial an Kreativität, Mitgefühl, Intuition und Genie steckt in den derzeit wenig genutzten Stirnlappen des Neocortex.
Werden diese über gezielte Achtsamkeitsübungen aktiviert, verschiebt sich die Hirndominanz in das Stirnhirn, also in den Bereich, in dem Glücksgefühle entstehen und auch das Mitgefühl sein Zuhause hat. Gleichzeitig werden das Reptiliengehirn und die Körperdominanz gedämpft. Weg von der beschränkenden Dominanz des Reptiliengehirns und des limbischen Systems.
Hin zu mehr Freiheit, Glück, Achtsamkeit und Selbstkontrolle. Im Privaten und der Businesswelt. In der Familie. Bei Kunden und Mitarbeitenden.
© by Stefan Huhn & Verena Arps-Roelle